Tag 4 – Olbia
Olbia war mir inzwischen so vertraut wie meine Westentasche. Ich kannte jeden Straßenkiosk, jedes Schlagloch vorm Kreisverkehr an der Via Roma, und sogar der Tankwart auf dem kleinen Autohof grüßte mich mittlerweile wie einen alten Freund.
Doch der Blick aufs Geschäft war weniger freundlich.
Die Tour nach Olbia war gut bezahlt, ja. Aber je länger ich hier rumstand, desto schneller fraß mir die Zeit die Marge weg. Diesel, Standkosten, Verpflegung – kein Problem für einen Tag oder zwei. Aber vier Tage? Und kein neuer Auftrag in Sicht? Das war der Moment, wo aus einer schönen Überfahrt ein Minusgeschäft wurde.
Auch wenn ich der Chef von TUKS bin – Rechnungen wie diese überlasse ich lieber Leuten, die Zahlen mehr lieben als Dieselgeruch. Meine Dispo rechnete, prüfte, telefonierte. Ich? Wartete. Noch ein Tag, dann sollte es eine Entscheidung geben.
Tag 5 – Olbia
Ich hatte inzwischen das Gefühl, ich könnte eine Stadtführung anbieten.
Morgens holte ich mir zum gefühlt hundertsten Mal einen Cappuccino und eine Sfogliatina am Hafen, schlenderte kurz über den Markt, grüßte zwei Straßenkatzen, die mir inzwischen folgten, wenn ich Tüten trug.
Mittags saß ich im Schatten eines alten Olivenbaums, der auf dem Parkplatz vor dem Supermercato stand. Ich hatte mir Panini mit Pecorino und getrockneten Tomaten gemacht – einfach, aber gut.
Da vibrierte das Handy. Die Dispo.
„Hör zu, Kyrre. Beste halbwegs passende Lösung: Bastia nach Düsseldorf. Geht morgen. Der Kunde zahlt solide, keine Luxustour, aber besser als leer. Und es ist dein Ticket zurück nach Hause.“
Ich lehnte mich zurück. Bastia – also auf die Fähre rüber nach Korsika, dann quer durch Frankreich, rauf ins Rheinland. Nicht ideal, aber… ein Job.
Ein kleines Plus. Kein Reibach. Aber wenigstens kein Verlust.
Ich nickte, obwohl keiner am anderen Ende der Leitung es sehen konnte. „Nehm ich. Buch die Fähre. Morgen früh bin ich unterwegs.“
Olbia, Tag 5 – abends.
Ich saß wieder im Führerhaus. Der Motor war aus, aber mein Kopf lief heiß.
Es war Zeit, weiterzuziehen. Nicht jede Tour ist glänzend. Nicht jeder Auftrag ist ein Heimspiel. Aber wer lang genug auf der Straße ist, weiß: Hauptsache, du bewegst dich.
Und morgen – da roll ich wieder. Mit Fracht. Und Richtung Zuhause.
Tag 6 – Olbia → Bastia
Der Morgen begann ruhig, fast zu ruhig. Die Sonne ging auf wie gemalt, kein Wind, kaum Verkehr. Ich rollte vom Parkplatz, vorbei an vertrauten Straßen und winkte noch einmal dem alten Tankwart.
Dann ging’s Richtung Fährterminal. Ich dachte: „Einfach rüber nach Bastia. Ruhiger Job. Endlich raus hier.“
Falsch gedacht.
Kaum angekommen, meldete sich der örtliche Koordinator und deutete auf den Ladebereich. Ich stieg aus, blinzelte in die Sonne – und da stand er:
Ein Transformator. 47,9 Tonnen schwer. Ein echter Koloss.
Ich musste lachen. „Warum einfach, wenn’s auch schwer geht, was?“
Das Aufsatteln dauerte. Alles musste perfekt sitzen. Die Papiere waren dick wie ein Telefonbuch. Aber gegen Mittag war ich bereit.
Abfahrt: Schwertransport durch Korsika, dann mit Sondergenehmigung auf die Fähre nach Nizza.
Die Fähre – ein Wiedersehen
An Deck, bei starkem Wind, stand ich mit einem Espresso in der Hand, als jemand plötzlich meinen Namen rief: „Kyrre, bist du das?!“
Ich drehte mich um – und da stand Mark, ein alter Kumpel aus alten Speditionszeiten, jetzt bei einem großen französischen Logistiker.
Wir sprachen stundenlang. Über alte Touren, neue Technik, Dieselpreise, Lenkzeiten. Ich machte ihm wie immer ein Angebot: „Du wärst bei TUKS besser aufgehoben.“
Er lachte, lehnte ab – mal wieder. Familie, Sicherheit, Routine. Ich verstand’s.
Aber wir schworen, in Kontakt zu bleiben. Immerhin teilten wir das Wichtigste: Straßen-DNA.
Frankreich → Luxemburg → Belgien
Ab Nizza rollte der Volvo wie auf Schienen.
Südfrankreich: Weiche Hügel, Wind von der Küste. Ich stoppte mittags nahe Valence. Auf dem Rastplatz gab’s ein Steak-Frites, serviert von einer älteren Dame, die mir zum Kaffee noch ein Stück Tarte aux pommes schenkte. „Für den langen Weg“, sagte sie. Ich nickte dankbar.
Luxemburg: Hier gab’s günstigen Diesel, perfekt getaktete Pausen und einen warmen Flammkuchen auf einem Rastplatz kurz vor der Grenze. Es regnete leicht, aber der Verkehr war flüssig.
Belgien: Hier wurde es wuselig. Um Lüttich herum starker Regen, schlechte Sicht, viele Umleitungen. Ich stoppte spät, bei Namur, wo ich in einem kleinen Diner Moules-frites bekam – mit einem kleinen lokalen Bier. Der Wirt war redselig, erzählte von seiner Zeit als Fernfahrer. Wir verstanden uns.
Düsseldorf – der Endgegner
Wie immer: Verkehrschaos pur.
Ich stand über eine Stunde auf der A46, dann nochmal kurz vor der Messe. Ich fluchte, redete mit dem Radio, kaute Kaugummi gegen die Müdigkeit. Aber irgendwann – irgendwann war ich endlich am Ziel.
Den Trailer sauber abgestellt, alles dokumentiert, Papiere unterschrieben.
Ich ließ die Zugmaschine laufen, fuhr ohne Auflieger zum Hotel.
Eine Nacht noch. Dann: nach Hause.
Später Abend – Hotelbett, Blick aus dem Fenster.
Ich lag da, Arme hinter dem Kopf, leise Musik aus dem Handy.
Der Rücken schmerzte, die Augen fielen zu. Aber im Bauch war dieses Gefühl: Es war viel. Aber es war gut.
Morgen bin ich frei. Und bald wieder unterwegs.